Sascha Büttner
Retrospektive 1990 - 1998
Ludwigshafen
So viel Abstand hat selten einer von sich genommen. "Das sichtbare Werk hat
nichts mit mir zu tun", warnt Sascha Büttner seine Interpreten: "Ich
möchte klarstellen, daß das Werk keine Widerspiegelung meiner Persönlichkeit ist."
Anfang der achtziger Jahre hatte es den Autodidakten aus der hessischen Provinz ins
sonnige Wiesbaden gezogen. Dort wird ihm die Aufnahme an der Fachhochschule Wiesbaden
verweigert, und auch das bißchen Mal- und Zeichenunterricht an der Wiesbadener Freien
Kunstschule ist rasch abgehakt. Daß das energische Eintreten für Picasso eine Woche
Ausschluß vom Unterricht einbringt, kann man seither in allen biographischen Texten
nachlesen.
Büttner steht überraschend früh auf den eigenen Füßen. 1990 entdeckt er den
anarchischen Reiz des Amorphen, läßt flüssiges Bitumen über Leinwände fließen,
häuft ein paar Zentner Bitumen zu einer informellen Skulptur, schichtet eingeschwärztes
Zeitungspapier zu Collagen und verklebt Wellpappe zu meterdicken Wandobjekten, die mit
handelsüblichem Autolack uni überspritzt werden und nach dem Willen ihres Urhebers so
stinknüchtern aussehen sollen wie Industrieprodukte. Daneben experimentiert er mit
Geräuschen, fotografiert Teer und Schotter und filmt die Straße aus dem fahrenden Auto
heraus.
Kunst, davon ist er bis auf den heutigen Tag überzeugt, ist nicht zum Vergnügen da,
sondern zur Erkenntnis. Büttner ist ein Präzisionskünstler, ein Fanatiker der einfachen
und eleganten Lösungen.
Die visuelle Welt interessiert ihn ebensowenig wie die expressive Geste. "Absolut
abstrakt" nennt er seine Kunst, und das Wort "Werk" läßt er nur als den
Ort einer "Aussage über das, was Kunst auch sein kann", gelten. Wer freilich
einfach so hineinspaziert war in die acht Jahre umfassende Retrospektive in Ludwigshafen,
der hätte den heute über Dreißigjährigen für einen Exzentriker der Eisenskulptur
halten können, so aufgeräumt unaufgeräumt sah es dort zunächst aus. Eine ausufernde
Bodenarbeit versammelte unregelmäßig gebogene, kurzgliedrig sich aufbäumende Stangen
oder Späne, die in nach dem Zufallsprinzip regulierten Konfigurationen wie aleatorisch
trainierte Turner über das ihnen zugemessene Bodengeviert zu kriechen schienen.
In San Francisco, das er 1994 zum erstenmal besucht, mutiert der Anarchist zum
unnachgiebig strengen Logiker. Büttner legt einen einfachen Betonpflasterstein auf den
Fußboden und seine Fotografie darüber. Dann entdeckt er, daß er den Stein auch gut
weglassen kann. In einem letzten Schritt wird dann das mühsame Selbermachen durch bloße
Handlungsanweisung übersetzt.
Wenn für Marcel Duchamp Leben die schönste Tätigkeit war, dürfte Büttner am Denken
das größte Vergnügen finden. Es gehört mit zum Spiel, daß seine Werke mal so und mal
so aussehen können. Der Bitumenhaufen aus den neunziger Jahren wird bei jeder neuen
Installation wieder ganz anders aussehen; Bitumen auf den Bitumenbildern könnte bei
großer Hitze flüssig werden und andere Strukturen ausbilden.
© Sigrid Faust, 1998