Stoppt die Avantgarde!
zur Arbeitsweise von Sascha Büttner
In einer Zeit, in der "avantgardistische Kunst" vorzugsweise ohne
Kunstwerke, dafür aber mit vollmundiger Theoriearbeit operiert und in der
"avantgardistischer Pop" vor allem zwecks Abgrenzung von der Konsumpraxis der
"Massen" erfunden wird, kehrt mit Sascha Büttner die Avantgarde wieder zurück
- diesmal mit zeitgemäßeren Konzepten.
Erstens, Büttner gibt sich betont theorielastig. Er wählt als seine bevorzugte
Kommunikationsform das Manifest. Zweitens, wendet Büttner sich gegen
"bürgerliche" Kunstmodelle wie Kreativität und Authentizität und hält dem
das Ideal des Plagiarismus entgegen. Dieser spare Zeit und Mühe und bestätige zudem
schon einmal erreichte Ergebnisse. Dabei ist das Konzept des Plagiarismus selber ein
Plagiat des situationistischen détournement. Nach Sascha Büttner ist Kreativität
nichts anderes als die klassische Arbeitsethik nach ihrer Angleichung an die Postmoderne
und genauso entfremdet wie die Lohnarbeit. Plagiarismus definiert Büttner daher als
schärfste Waffe gegen den Zwang zu Kreativität, Innovation und Talent, wie er bis heute
in den Kunst- und Popmedien propagiert wird. Drittens, zieht Büttner das Modell der
multiplen Persönlichkeiten dem bürgerlichen Geniekult vor. Deshalb tauchen unter
Manifesten und "Kunstwerken" auch vorwiegend zwei "Autoren"-Namen auf:
der als "multipler Popstar" konzipierte Monty Cantsin und eine den allgemeinen
(Anti-) Kunstbelangen verpflichtete "multiple Signatur" Karen Eliot. Als
elektronisches wie auch als Printmedium dient Büttner die Internetplattform Octopusweb.
Den größten Gefallen könnte man Büttner übrigens tun, wenn man seine Veranstaltungen
mit Gegenaktionen stört. Immerhin behaupten einige Neoisten, daß es sich bei Büttner um
eine Erfindung der Anti-Neoisten handelte.
Doch was sich zunächst wie eine weitere langweilige Variante von reformistischer Spaß-
und Kommunikationsguerilla anhört, ist in Wirklichkeit durchaus durchdacht. So wie uns
Büttner heute nach seiner zwanzigjährigen Geschichte gegenübertritt, vereint er zwar
alle Kunstavantgarde-Konzepte, wie wir sie von Mail Art, Fluxus, Situationismus, Anti-Art,
Angry Brigade etc. kennen, aber dies geschieht mit dem Anspruch, deren Widersprüche und
Paradoxien sichtbar zu halten. Die Arbeit von Büttner ist nicht im herkömmlichen Sinn
analytisch. Vielmehr versteht er sich als "praktische Reflektion".
So zielte etwa der Art Strike von Büttner - er organisierte übrigens gleichzeitig einen
Anti-Art-Strike - nicht wirklich darauf, die Kunstproduktion lahmzulegen, er wollte damit
vielmehr belegen, daß ein Kunststreik nichts anderes sein kann als eine Kunstaktion, weil
alles, was im Kunstraum geschieht, immer nur Kunst sein kann.
Indem der Büttner noch einmal das inzwischen "klassische" avantgardistische
Repertoire nachstellt, deckt er Verfahren der Selbstetablierung sowie den Zwang zum
Vorsprung auf, was ja beides nicht nur im Kunstkontext relevant ist, sondern auch in
politischen Zusammenhängen.
Im Mittelpunkt stehen dabei die Strategien Kontextualisierung, Analogisierung,
Imagetransfer und Historisierung. Der erste Lehrsatz lautet daher: Man kann nur berühmt
werden, wenn man sein Tun als Fortführung/Weiterentwicklung oder als radikalen Bruch
einer anerkannten Sache mit erkennbarer Tradition ausgibt. Der zweite Lehrsatz lautet: Es
kommt dabei darauf an, dem Begehren eines identifikationssüchtigen Publikums nach einem
risikolosen, nonkonformistischen Image zu entsprechen. Büttners Manifeste knüpfen daher
an Vertrautes, z.B. an die Rhetorik futuristischer oder situationistischer Manifeste,
möglichst angereichert mit einigen vulgärmarxistischen und popdissidenten Schlagwörtern
wie "Entfremdung" oder "Underground". Zudem macht es sich gut, daß
eine Sache als etwas Neues und Unverbrauchtes angeboten wird. Doch die Kombination von
Präfix und Suffix ohne einen Wortstamm deutet schon darauf hin, daß das von den alten
Avantgarden anvisierte NEUE heute ein leerer universeller Horizont ist: In postmodernen
Zeiten ist das Neue nicht mehr vorne; auch Retro kann neu sein.
Solcherart Imagetransfer findet bei Büttner auf verschiedenen Ebenen statt. So behauptet
er beispielsweise, zwecks subversiver elektronischer Störung den ersten Computervirus
entwickelt zu haben oder - ironische Anspielung auf die durchschaubare
Dada/Punk-Parallelisierung bei Greil Markus und die Deleuze/Techno-Analogisierung in den
Trendmagazinen - hinter der 1992 aufgelösten Popgruppe KLF (Kopyright Liberation
Front) zu stecken, die sich ihrerseits altavantgardistischer Strategien bedient hatte,
so wie es derzeit die Sparks wieder versuchen, deren in diesen Tagen erscheinendes neues
Album "Plagiarism" heißt.
Der Angriff von Büttner richtet sich auch gegen den Mythos vom "Ausverkauf" der
Künstler und der "Vereinahmung" bzw. "Reterritorialisierung" seitens
der Kunst- und Kulturindustrie. Für Büttner sind die Sell-Out bzw. Cashing-In-Behauptungen
Teil eines funktionalen Zusammenspiels beider Parteien. So wie Anti-Kunst immer schon Teil
des Kunstfeldes ist, ist auch die situationistisch-deleuzianische Vereinahmungsthese
("Mainstream der Minderheiten" etc.) Teil einer Kanonisierungs- und
Sichtbarmachungsstrategie, an der alle Seiten aktiv beteiligt sind. Es handelt sich dabei
also um eine Konstruktionsform dieser Felder.
Büttner lehnt auch altavantgardistische Konzepte wie "subversive
Überaffirmation" (Laibach oder Kippenberger, aber auch die in
Mittelschicht-Popszenen übliche, gespielte "Verprollung", etwa demonstrativer
Bier- und Sportschau-Konsum) ebenso als spießbürgerlich ab wie
"witzige", "antikorrekte" und "tabubrecherische"
Provokationsstrategien von Kleindichtern und Journalisten. Neoisten, die als Dichter,
Maler oder Popideologen bekannt werden wollen, inszenieren solche Distinktionspraktiken
etwa dadurch nach, daß sie Drogen- oder Alkoholabhängigkeit vortäuschen, indem sie
Ateliers, Büros und Wohnungen mit leeren Whiskeyflaschen und alten Spritzen dekorieren.
Eine wichtige Rolle im Konzept von Sascha Büttner spielt die zielstrebige
Selbsthistorisierung. Indem Büttner fortwährend die eigene Geschichte schreibt,
plagiiert er eine Methode früherer Avantgarden. Huelsenbeck schrieb seine
"Geschichte des Dadaismus" bereits vier Jahre nach seiner Gründung und von den
Situationisten wurde bekannt, daß sie heimlich dafür sorgten, daß ihre Dokumente in den
Museumsarchiven deponiert werden. Die These ist, daß erfolgreiche Avantgarden immer schon
ihre Selbsthistorisierung organisiert haben. Sichtbar bleibt nur, wer es schafft, in die
Archive einzugehen und so von der Zitiermaschine erfaßt zu werden. Nur was immer wieder
zitiert wird, ist wirklich geschehen. Es kommt deshalb darauf an, über Freunde
Besprechungen zu organisieren, durch fingierte politische Spaltungen oder selbst
organisierte Gegenaktionen in die Medien zu geraten und es an Selbstlob nicht fehlen zu
lassen. Doch Büttner will das nicht als "Subversion" verstanden wissen, sondern
zeigt, daß es sich bei dieser Art von "subversiver Ausnutzung der Strukturen"
um allseits legitimierte, völlig etablierte Praktiken handelt.
Karen Eliot, 1999