Klaus Dettke
Der letzte Alchemist
Eine Betrachtung der Kunst von
Sascha Büttner
mitsamt ihrer Widersprüche
Stationen
Sascha Büttner, geboren 1966, hat allein in den letzten fünf Jahren ein beachtliches
und äußerst eigenwilliges vre geschaffen (vgl. Biograf für Bewerbung Kunstpreis
auf dieser CD-ROM). Er ist Mitbegründer des Ateliers Bratwurst (zusammen mit Marcus Bohl,
Thorsten Fink, Benny Klement und Bernhard Reuß), entstanden im Jahr 1994 in einem
Nebengebäude des ehemaligen Wiesbadener Schlachthofs.
Als erstes beachtliches Werk, mit dem er als Einzelkünstler auffiel, nenne ich seine
"Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1" im Jahr 1995. Etwa 3000
Pflastersteine - und zahlreiche verstreute Fotografien dazwischen - legte er auf dem Platz
aus, von wo aus im Jahr 1942 die Wiesbadener Juden in die Vernichtungslager
abtransportiert worden waren.
Im Januar 1997 trat er erstmalig mit Bitumenarbeiten in die Öffentlichkeit (Dritte
Zeigung im Atelier Bratwurst). Im gleichen Jahr folgten seine erste und zweite
Bitumenschmelze als öffentliche Ereignisse mit hohem sinnlichen Erlebnischarakter.
Heute arbeitet er an einer Folge von Ausstellungen, die er sämtlich "Wiesbadener
Raum" betitelt. In diesen Ausstellungen (die erste fand in der Galerie der
Büchergilde Gutenberg 1999 in Wiesbaden statt) widmet er sich Materialprozessen, bei
denen neben Bitumen auch Kupfer und Blei eine Rolle spielen. Das (vorläufige) Ergebnis
sind Tafelbilder auf Holzplatten, die er mit Bitumen übergossen oder mit Metall bekleidet
hatte. Das Kupferblech wurde mit Essigsäure patiniert, das Blei aus kleineren Platten mit
deutlicher Naht zusammengelötet (siehe Details).
In meinen weiteren Ausführungen über das Werk von Sascha Büttner werde ich mich
besonders mit diesen Arbeiten beschäftigen.
Bitumen, Kupfer, Blei
Bitumen, Kupfer und Blei sind Materialien für die Herstellung von Zeitlosigkeit.
Bitumen verhindert Fäulnis des Holzes und dient in der Bautechnik als Schutzanstrich, mit
dem das Eindringen von Feuchtigkeit in Gemäuer (und damit deren Zerstörung) verhindert
wird. Mit Bitumen getränkte Pappe (z.B. als Dachpappe) schützt Mauer- oder Holzwerk
gegen chemische oder witterungsbedingte Angriffe in der Luft und unter der Erde. Bitumen
garantiert Ewigkeit.
Das läßt sich auch von Kupfer und Blei sagen.
Mit Kupfer wurden (und werden noch heute) Gebäude oder Gebäudeteile bedeckt, damit sie
auf Dauer geschützt sind gegen die aggressiven Bestandteile von Luft und Niederschlägen.
Gegen die ätzenden Bestandteile des Wassers und des Erdreichs schützt das Blei als
Umhüllung z.B. von Kabeln als Erd- oder Tiefseekabel. Auch mit Blei wurden und werden
Dächer geschützt.
So nützlich diese Stoffe auch sind, sie sind gleichzeitig geschmähte Materialien. In der
Nähe zum Menschen werden sie gemieden, wie es nur geht. Pech wird ohnehin von allen
mißachtet. Vom Blei halten wir uns fern. Wo immer es möglich ist, verzichten wir auf
seinen Einsatz. Das Spielen der Kinder mit Bleisoldaten (oder nur mit zivilen Figuren)
undenkbar! Das Kupfer traf die Verbannung noch früher. Heute wird es niemand mehr
in der Küche verwenden wollen, so wie es einmal üblich war. Doch selbst in Zeiten, als
dieses Metall für Töpfe, Pfannen, Schalen und Schüsseln unverzichtbar war, wurde es
gescheuert, was das Zeug hielt, damit nur ja keine chemische Verbindung, die das (unedle)
Kupfer gerne mit Bestandteilen der Speisen eingeht, ins Essen gelangte.
Und gerade diese geschmähten Materialien sind die auserwählten Stoffe für die Kunst von
Sascha Büttner. Wenn er Bilder malt, malt er nicht mit Öl. Er malt mit Essig auf
seinen Kupfertafeln. Es scheint, als wäre ihm Öl viel zu edel. Wenn schon Öl, dann
benutzt er es erst, nachdem alle edlen Bestandteile ausgeschieden sind. Dann verwendet er
nur die Rückstände.
Traditionell waren es die edlen Materialien, die ein Künstler bevorzugte. Ölfarben für
die Malerei und Bronze oder Marmor für Plastiken galten als besonders edel. Aber was ist
schon traditionell in den Arbeiten von Büttner? Eventuell dies, daß auch bei ihm der
Gesichtspunkt von Dauerhaftigkeit eine Rolle spielt - doch anders, als wir es in der Kunst
gewohnt sind.
Erhalt und Vergang
Daß Büttner Materialien wählt, die - wie ich zeigte - besonders dem Erhalt
von Menschenwerk dienen, ist auf den ersten Blick hin erstaunlich. Kenne ich ihn doch als
einen Künstler, der gegen den Vergang von Produkten seiner Arbeit nichts
einzuwenden hat. Im Gegenteil. Zusammen mit seinen Freunden setzt er manche seiner Werke
bewußt der Zerstörung aus, so z.B. die Fotografien der Gemeinschaftsinstallation
"Allee" (1995). Er befestigte sie ungeschützt an Bäumen in öffentlichen
Räumen in Wiesbaden und in Kassel. Wind und Wetter, aber auch flinke fremde Hände haben
rasch das Werk zunichte gemacht.
Die Fotografien seiner Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1 vergingen schnell,
und die Anordnung der Steine wurde bald von spielenden Kindern verändert. Es kümmerte
ihn nicht. Er ließ es zu.
Selbst das Acetat auf seinen Kupferbildern (als Grünspan auf Dächern und Kuppeln für
deren Konservierung zuständig) läßt er aufblühen zu einer hochempfindlichen Substanz,
die sich leicht abwischen ließe. Er schützt sie nicht, und noch niemand weiß, wie sich
die Kupferbilder im Laufe der Zeit von selbst verändern werden unter klimatischen oder
auch mechanischen Einflüssen, die er nicht vorhersehen kann. Auch das Blei wird sich
verändern. Wer weiß wie?
Um diesen Widerspruch zwischen Konservierung und Preisgabe geht es sehr
stark im Werk von Sascha Büttner: Die Imprägnierung durch Bitumen schafft ein
"Moment der Ewigkeit" (Büttner). Gleichzeitig wird wegen der hohen
Empfindlichkeit der gegossenen Fläche ihre Veränderung (bis zur Zerstörung) mitbedacht.
Auch andere Widersprüche sind bedeutsam für die Arbeit von Sascha Büttner. Sie
betreffen selbst seine Person. So besteht ein Widerspruch zwischen dem Original Sascha
Büttner als dem unverwechselbaren Einzelexemplar eines autonomen Künstlers (der
sogar einige Mühe darauf verwendet, sich "in die Archive einzuschreiben", wie
er sagt) - und seinem Kampf gegen das bürgerliche Individualitätsprinzip. Ganze
Gruppenausstellungen, die er organisieren will, werden demnächst nur unter einem einzigen
(Künstler-)Namen firmieren (Multiple Signatur). Der Einzelne als Original wird
verschwinden. So will es Büttner.
Mit den Namen treibt er ohnehin sein Spiel. Wir können nie genau wissen, ob Arbeiten: Kunstgegenstände, Aktionen, Texte unter fremden Namen nicht vielleicht doch Arbeiten von Sascha Büttner sind, auch ob Arbeiten: Kunstgegenstände, Aktionen, Texte unter Büttners Namen von ganz anderen Leuten stammen. Camouflage und Mimikry, Tarnung (Verwendung von Pseudonymen) und Fälschung (Schreiben mit fremder Feder) sind seine Mittel, mit denen der eigenwillige und eigenartige Künstler Büttner dem individualisierenden Künstlerkult den Kampf ansagt. Widerspruch oder kein Widerspruch?
Dreck in Gold verwandeln
Als das Niedrigste, was wir uns an Stoffen auf der Welt vorstellen können und was uns
die Industrie zum Gebrauch zur Verfügung stellt, darf das Produkt Bitumen angesehen
werden. Bitumen ist Dreck, weil es dreckig ist. Es ist das Letzte, was bei der Raffination
von Erdöl übrig bleibt. Alle anderen Produkte der Petro-Chemie: schweres und leichtes
Heizöl, Diesel- und Ottokraftstoff, die Ausgangsprodukte für Farben oder für Heilmittel
alles gilt als veredelt. Bitumen gilt als der letzte Dreck. Verarbeitet zu
Straßenbelag (Asphalt) treten wir darauf herum, als Schutzanstrich verschwindet es wieder
in der Erde, wo es hergekommen ist.
Auf der anderen Seite ist Bitumen dem Gold verwandt. Auch das Gold schützt
als Überzug auf unedlen Stoffen vor Verwitterung, besser noch als das Kupfer und das
Blei. So gesehen ist Bitumen (der Dreck) ein edles
Material, indem es mit keinem Stoff der Welt chemisch reagiert, so wie Gold. Also ist
Bitumen ebenso edel, wie es unedel ist. Ein spannender Widerspruch!
Wundern kann mich das nicht. Jean Gebser (Ursprung und Gegenwart, dtv) verdanke ich den
Hinweis darauf, daß in den Ursprachen (wie er es nennt) mancher Begriff nicht nur das
eine, sondern zugleich auch dessen Gegenteil bedeuten. Noch im Lateinischen haben wir
Beispiele dafür. So bezeichnet altus sowohl "hoch" wie auch
"tief". Und sacer bedeutet "heilig" und zugleich
"verrucht".
Auch im Deutschen sind noch Spuren dieses "Dualismus von Bejahung und
Verneinung" (Gebser) zu erkennen, z.B. in den Wörtern: "Maß" und
"Masse". Das eine bedeutet das Maßvolle, das andere das Maßlose. So auch in
dem Wort: "alle", einerseits gemeint als das, was vorhanden ist (alle
Geldstücke in meiner Tasche) und andererseits als das, was nicht mehr vorhanden ist (das
Geld in meiner Tasche ist alle).
Oder in den Wörtern: "Weg" und "weg". So bedeutet "Weg" die
Hinführung zum Ziel, doch "weg" meint genau das Gegenteil: Nichts wie weg!
Auch die Stoffe Kupfer und Blei sind - im genannten Sinne - in sich widersprüchlich. Sie
zählen nicht zu den Edelmetallen (wie Gold), also sind sie unedel. Auf der Seite der
edlen Stoffe sind sie aber durch ihre Fähigkeit, Oxide zu bilden, die hochgradig
resistent sind gegenüber anderen Stoffen, so wie Gold. Das wertet sie auf.
Die Zusammengehörigkeit von Bitumen (gleich Pech) und Gold verdeutlicht auch das
Märchen. Die Pechmarie hat ihre Entsprechung in der Goldmarie. Das Wesen der einen wird
deutlich durch das Wesen der anderen. Sie sind gemeinsam die zwei Seiten einer Medaille.
Eine innige Beziehung von Dreck und Gold besteht vor allem auf der symbolischen Ebene. In
seiner psychoanalytischen Geldtheorie (Fischer) arbeitet Wolfgang Harsch diesen
Zusammenhang überzeugend heraus. Psychoanalytisch ist Gold ein Kotsymbol, stellt er fest,
und zitiert Freud: "In den Träumen wird das Gold auf die eindeutigste Weise als
Symbol des Kotes bekannt" und "Der Traum sagt, das Gold sei ein Zeichen, ein
Symbol, für den Kot" (S. 54). Das geläufige Wort vom Dukatenscheißer ist ein
deutlicher Hinweis auf die Wirksamkeit der Verbindung von Gold und Kot bis in unsere
Umgangssprache hinein. Als Erklärung für diese "innigste Beziehung" zwischen
Gold und Kot bietet Freud die Vermutung an, "daß der Gegensatz zwischen dem
Wertvollsten, was der Mensch kennengelernt hat und dem Wertlosesten, das er als Abfall
(refuse) von sich wirft, zu dieser bedingten Identifizierung von Gold und Kot geführt
hat" (S. 50).
Harsch:" Diese "innigste Beziehung" betrachtet Freud als Verkehrung ins
Gegenteil - ein Mechanismus, den er bei der Traumarbeit entdeckt hatte, - und als
Reaktionsbildung (S.51). Dadurch geschieht das, was wir bei der Gold- und der Pechmarie
schon bemerkten und worauf Jean Gebser mit dem Begriff des "Dualismus von Bejahung
und Verneinung" hingewiesen hat: Die Gegensätze fallen in sich zusammen. Dann steht
das eine für das andere. Der östlichste Punkt der Erde ist zugleich ihr westlichster.
(Christoph Kolumbus hat darauf vertraut.) Wer hoch hinauf will, sollte den Weg in die
Tiefe antreten.
Über den Dualismus von Gold und Kot in der Bildenden Kunst sei eine
Arbeit von Piero Manzoni erwähnt. Über ihn schreibt Bettina Ruhrberg in: Künstler.
Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst:
"Manzoni (realisierte) im Mai 1961 eines seiner provokantesten Werke "Merda
dartista". Die in einer Auflage von 90 Stück hergestellten Dosen erhielten ein
Etikett mit der Aufschrift "Künstlerscheiße". Dreißig Gramm netto, frisch
konserviert, produziert und in Dosen verpackt. Der Preis für eine Dose sollte dem
jeweiligen Tagespreis für 30 Gramm Gold entsprechen."
Wenn Sascha Büttner Bitumen als geeignetes Material für Kunst wählt, so hat das tiefe Wurzeln. Es zeigt sich darin deutlich ein alchemistisches Moment, das darin erkennbar wird, daß einer aus Dreck Gold machen will. Es gelingt ihm, weil Kunst daraus wird. Könnte auch viel Geld daraus werden, ich würde es ihm gönnen.